Ein Löwe wird in freier Wildbahn gefangen und in ein Lager gebracht. Dort trifft er zu seinem Erstaunen auf viele andere Löwen. Manche von ihnen sind schon jahrelang dort, nicht wenige in diesem Lager geboren worden. Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Gruppen von Löwen gebildet: Die einen pflegen die Bräuche und Traditionen der Löwen, als sie noch in Freiheit lebten, andere bilden Musikgruppen, singen sehnsuchtsvolle Lieder, die von einem künftigen Lebensplatz ohne Zäune handeln. Andere bringen Unruhe ins Lager, sie wenden sich gegen die Wärter und zetteln Aufstände an. Wieder andere sind in Kämpfe verwickelt. Der neu angekommene Löwe bemerkt aber neben dieser Vielfalt an Gruppen einen Löwen, der alleine herumstreift. Er gehört keiner Gruppe an. Er ist seltsam, was bei manchen Verwunderung hervorruft, bei anderen Ablehnung bis zur Feindseligkeit, weil seine Gegenwart bei ihnen Angst und Zweifel an der eigenen Sicht erzeugt. Dem Neuankömmling rät er, sich keiner Gruppe anzuschließen, mit der Begründung: „Sie kümmern sich um alles, bloß nicht um das Wesentliche.“ Auf die Frage des neu Hinzugekommenen, was dieses Wesentliche sei, antwortete der Einzelgänger: „Über die Art des Zaunes nachzudenken.!
Diese Geschichte von Anthony de Mello kam mir anlässlich von „10 Jahre Papst Franziskus“ in den Sinn. Alle Details der hier gekürzt wiedergegebenen Geschichte auszudeuten, würde zu weit führen, die Zuordnung der verschiedenen Gruppen in der Kirche zu Löwengruppen vom Wesentlichen weg. Aber in dieser Frage nach dem Zaun, der es verhindert, dass die Beengungen abgestreift werden können, liegt ein Schlüssel für die Anliegen des Papstes. Die verschiedenen Interessen und die unterschiedlichen Traditionen sind wichtig, ihre Pflege von Bedeutung. Sie müssen aber in Bezug gesetzt werden zur Frage, wie der Zaun, der uns von unserem Ziel fernhält, überwunden werden kann. Indem Papst Franziskus manchmal tastend, aber beharrlich auf die Barmherzigkeit und Liebe Gottes hinweist und die Reformen in diesen Zusammenhang stellt, rüttelt er an diesem Zaun. Leider bleiben unsere Reaktionen oft nur innerhalb des Zaunes, wir bekämpfen uns gegeneinander und vergessen das gemeinsame Nachdenken über die Art des Zaunes, damit wir ihn überwinden können.
Im Evangelium des 4. Fastensonntags geht es um die Frage, wer schuld ist, dass der blind Geborene blind ist. Jesus wehrt diese Frage, die innerhalb des Zaunes steht, aber ab mit den Worten: „Die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.“ Die Heilung kommt von jenseits des Zaunes der eigenen Befindlichkeiten.
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