Der Richter wendet sich an den Anwalt des Angeklagten: „Herr Verteidiger, haben Sie noch etwas zugunsten des Angeklagten vorzubringen?“ Der Angesprochene bejaht und macht darauf aufmerksam, dass sein Mandant schwerhörig sei. „Und daher kann er auch die Stimme seines Gewissens nicht hören!“
Diese Art von Schwerhörigkeit ist offensichtlich heute sehr verbreitet. Das mag daran liegen, dass manche Stimmen wie die der Werbung oder eines Lebens, als ob es keine Grenze gäbe, so laut geworden sind, dass sie die oft leise Stimme des Gewissens übertönen. Ein weiterer Grund dafür mag aber auch darin zu suchen sein, dass wir das Gewissen oft auf das Allgemeine richten, die Mühe, es in den ganz konkreten Alltag einzubauen, aber oft scheuen. Im Rausch der reinen Werte verfehlen wir die konkreten, oft so unscheinbar scheinenden Herausforderungen.
Bei seinem Treffen mit Vertretern von Hilfs- und Wohltätigkeitsorganisationen im Rahmen seine Reise nach Portugal angesichts des Weltjugendtages fügte Papst Franziskus zu seiner vorformulierten Rede folgende Passage hinzu: „Ich möchte nur auf etwas eingehen, das nicht geschrieben steht, aber im Sinne des Treffens ist: Konkretheit. So etwas wie abstrakte Liebe gibt es nicht. Die platonische Liebe befindet sich im Weltraum, nicht in der Wirklichkeit. Konkrete Liebe, die Liebe, die sich die Hände schmutzig macht. Jeder von uns kann sich fragen: Ist die Liebe, die ich für alle hier empfinde, die Liebe, die ich für andere empfinde, konkret oder abstrakt? Wenn ich einem Bedürftigen, einem Kranken, einem Ausgegrenzten die Hand reiche, tue ich dann sofort dies [er reibt seine Hand an der Soutane], um mich nicht anzustecken? Ekelt mich die Armut an, die Armut der anderen? Suche ich immer nach dem >destillierten< Leben, dem Leben, das in meiner Fantasie existiert, aber in der Wirklichkeit nicht existiert?“
Bei all den wichtigen Fragen, die der Papst nicht nur vor den Jugendlichen der Welt angesprochen hat, gilt es zu fragen: Was bedeutet das nun konkret für mich? So im Allgemeinen ist es leicht zu sagen: Wir haben globale Verantwortung. Wir treten für die Umwelt ein. Wir tragen Sorge für das gemeinsame Haus unserer Erde. Aber was bedeutet das, wenn die Jugendlichen wieder zu Hause sind, wenn es gilt, die kleinen, oft unspektakulären, aber notwendigen Schritte zu setzen? „Durch euer Verhalten, durch euer Engagement, dadurch, dass ihr euch die Hände schmutzig macht, um die Wirklichkeit des Elends der anderen zu berühren, schafft ihr Inspiration, schafft ihr Leben.“ So der Papst. Gewissen muss konkret werden.
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