Eine Dekanatskonferenz: Nach tiefgehenden Beratungen geht es zum Essen. Es ist schon so viel gesprochen worden, deswegen ist vor dem Essen stilles Gebet angesagt. Einer der Anwesenden fragt den Dechant, wie er die Zeit für das stille Gebet bemisst, wieviel Zeit er zwischen den Kreuzzeichen lässt. Die Antwort: „Ich zähle bis zwanzig, manche zählen bis dreißig, das ist aber schon Heuchelei.“
Wir Menschen brauchen Rituale, symbolische Handlungen, um zum Leben hingeführt zu werden. Mit diesen fast automatisch ablaufenden Handlungen werden wir hingeführt zu dem, was wichtig ist. Sie stellen Anstöße dar, bei denen wir oft gar nicht mehr viel nachdenken brauchen, warum wir sie durchführen. Aber es stellt sich mitunter eine interessante Entwicklung ein: Anstatt dass diese so automatisch ablaufenden Handlungen uns zum Leben in seiner Fülle hinführen, lenken sie uns von den wichtigen Dingen ab, sie treten an die Stelle des Lebens und sind dann nur ein müder Abklatsch, manchmal sogar Verhinderung. Wir wähnen uns auf dem richtigen Weg und verfallen dann der Selbstgerechtigkeit.
Überlieferungen sind so mitunter auch sinnentleert. Man folgt ihnen einfach, ohne noch das Ziel zu bedenken, auf das sie uns hinführen sollen, ohne noch die Zusammenhänge zu sehen. Und was auch oft festzustellen ist: Je weniger man den Sinn dieser Handlungen bedenkt, desto mehr wird Wert darauf gelegt, dass sie in einer genau vorgegebenen Art und Weise vollzogen werden. Und dann macht man die Nichteinhaltung dieser Vorschriften den anderen leicht zum Vorwurf: So geht das, und du machst das anders oder nicht!
So ist das auch zu Zeiten Jesu gewesen. Die Jünger, die sich nicht streng an die an sich sinnvolle Vorschrift hielten, sich die Hände vor dem Essen zu waschen, erregen Anstoß bei denen, die genau auf die Vorschrift achten, aber den Sinn der Handlung einfach darin sehen, dass sie vorgeschrieben ist. Sie vollziehen das Ritual, halten sich für die Besseren. Sie sehen das Gebot nur in der Haltung der Selbstgerechtigkeit: Das wird so gemacht, weil es so gemacht werden soll! Der Vollzug eines Rituals genügt nicht, wenn es nicht auf das bezogen wird, was im Ziel gelegen ist. Das Ritual lenkt dann vom richtigen Verstehen ab, weil man sich mit Vordergründigem zufrieden gibt.
Man wird damit zu einem halbherzigen Hörer des Wortes und kann nicht zu einem Täter des Wortes werden, wie der Jakobusbrief uns auffordert. Zählen ist zu wenig, es bedarf schon des Gebets, das zum Leben führt.