Kirchenaustritte sind immer bedauerlich, auch und besonders die zu Zeiten der Pandemie. In einer Zeitung wurde von einem Leserbriefschreiber als Grund für die der Austritte auf die befürwortende Haltung der Kirche zu Impfungen hingewiesen. Kirchliche Vertreter hätten sich aus politischen Fragen herauszuhalten. Man darf doch keinen verärgern, Schweigen wäre viel angebrachter. Wie immer man zur Bekämpfung der Pandemie steht: Ist es Aufgabe der Kirche, dort zu schweigen, wo manche Menschen anderer Meinung sein könnten? Kann der mögliche oder wahrscheinliche Ärger mancher Menschen ein Grund sein, etwas zu sagen oder nicht zu sagen?
Schauen wir auf das Evangelium vom Sonntag, in dem berichtet wird, dass Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth auftritt, zuerst Staunen über seine Weisheit und begeisterte Anhängerschaft auslöst, bald aber auch sehr intensive Ablehnung erfährt. Er wagt es nämlich, sich gegen die Meinung vieler Menschen von damals zu stellen. Nach heutiger Diktion würde diese lauten: „Israel zuerst!“, das bald umgewandelt wird zu: „Nur Israel!“ Jesus genügt mit seiner Ausrichtung auf alle den Ansprüchen mancher Menschen nicht.
Wenn er aus dem Alten Testament Geschichten aufgreift, in denen die Propheten Elija und Elischa Taten für Menschen vollbracht haben, die nicht aus Israel stammten, so ist das für viele ein Skandal. Und sie sehen es als Anmaßung Jesu, dass er sich zu allen Menschen wendet.
Ja, es ist notwendig, sich manchmal gegen die allgemeine Meinung zu stellen, wenn es um die Menschen, und zwar alle Menschen geht, wenn es darum geht, das langfristig Beste für die Menschen zu erreichen. Jesus schweigt nicht: Es geht ihm um die Wahrheit, die die Menschen frei macht, und nicht darum, dass er gut bei allen ankommt. Das ist ja die Verführung, der wir alle ausgesetzt sind: die Wahrheit zu verschweigen, weil wir uns mit jemandem, oft mit der Mehrheit, aber auch mit sehr lautstarken Minderheiten, nicht anlegen wollen.
Jesus wird als Nazareth vertrieben. Manchmal muss man sich aus seiner bequemen Umgebung vertreiben lassen, wenn es um die Wahrheit geht. Es gehört Mut dazu, besonders der Mut, Nachteile zu erfahren, nicht geliebt zu werden, nicht bejubelt zu werden. Die Propheten haben das erfahren, Jesus hat das erfahren. Wir sollten uns nicht anmaßen, wie diese die Wahrheit zu haben, aber wir sollten nicht nachlassen, auf die Wahrheit hinzuweisen und zu ihrer Suche beizutragen, sei es gelegen oder ungelegen.