Wir werden im Durchschnitt viel älter als die Menschen vor hundert Jahren, aber letztendlich ist unsere Lebensspanne im Vergleich zu unseren Vorfahren geschrumpft, weil uns die Ewigkeit abhanden gekommen ist. Deshalb glauben wir, alles muss in diesem Leben erreicht werden, all das, was sein könnte, muss schon hier von uns geschaffen werden, sonst ist das Leben ein Fehlschlag. „Im Himmel gibt´s kein Bier, drum trinken wir es hier!“
Der Soziologe Peter Gross schrieb ein lesenswertes Buch über die sogenannte Multioptionsgesellschaft, die Gesellschaft mit vielen Möglichkeiten. Diese wollen aber hier und jetzt verwirklicht werden: Der Konjunktiv, das, was sein könnte, rückt ins Diesseits. Daraus ergibt sich eine Zwanghaftigkeit und eine Korrekturwut, alles muss verändert werden, um all die Sehnsüchte zu verwirklichen. Die Freude bleibt dann oft außen vor, ein wildes Streben nach noch mehr hier und jetzt greift Platz. Der Mensch heute kann nicht lebenssatt sterben, sondern er wird lebensmüde von all den Anstrengungen, möglichst viele der Möglichkeiten zu verwirklichen. Vor lauter Streben nach immer mehr stellt sich nur ein kurzes Glücksgefühl ein.
Was sollen in diesem Zusammenhang die Seligpreisungen des Evangeliums vom Sonntag? Da werden jene seliggepriesen, die arm sind, die hungrig sind, die weinen, die gehasst werden, Menschen, deren Möglichkeiten sehr beschränkt sind. Von diesen Menschen wird nicht gesagt, dass sie selig sein werden, später einmal als Ausgleich, sondern „Selig seid ihr.“ Aber selig werden die Menschen nicht gepriesen, weil sie arm, hungrig, traurig und verfolgt sind, das wäre ein Hohn. Sie werden glücklich gepriesen, weil ihnen das Reich Gottes offensteht, weil sie reale Erwartungen haben können, die nicht sofort erfüllt werden müssen. Sie müssen das alles nicht aus eigener Kraft erreichen, sondern es ist Gott, der ihnen dieses „selig“, das mehr ist als das im Augenblick gelegene Glück, zuruft.
Diese Spannung gilt es auszuhalten: Unser Leben findet seine Vollendung nicht in diesem Leben. Wir werden nicht Vollendung hier finden, trotz alles Anstrengungen. Aber die Seligkeit beginnt hier und jetzt, das Reich Gottes zeigt hier und jetzt seine Spuren. Das heißt nun nicht, dass wir nur zuwarten können und nichts tun müssen. Es heißt aber, dass wir alles erwarten können, wenn wir offen bleiben auf den, der alles vollenden kann. Das Reich Gottes, die Seligkeit, beginnt hier, wenn wir offen sind für den, der das Ziel unseres Lebens ist.