Vier Mönche beschließen, einen Monat lang zu schweigen. Am Anfang läuft alles gut, keiner spricht ein Wort. Eines Tages aber sagt einer der Mönche: „Ich weiß nicht, habe ich meine Zelle zugesperrt?“ Der zweite wendet sich tadelnd dem ersten zu: „Damit hast du das Schweigegebot gebrochen.“ Darauf der dritte: „Weil du deinen Mitbruder zur Rede gestellt hast, hast du ebenfalls das Schweigegebot gebrochen!“ Darauf der letzte: „Gott sei Dank habe ich noch nichts gesagt!“
Ja, es ist oft leicht, den Fehler des anderen zu sehen, der Splitter des anderen springt uns ins Auge, wie wir im Evangelium hören. Das gilt in verschiedenen Zusammenhängen, unter Freunden, in der Familie, in der Gesellschaft und in der großen Politik. Sofort erkennt man, dass der andere falsch liegt, auch wenn es sich nur um eine Kleinigkeit handelt. Der Mensch spielt sich nur zu gern als Richter auf. Aber ist es nicht oft so, dass man bewusst oder unbewusst mit dieser Verurteilung des anderen von den eigenen Fehlern ablenken will? Es ist nämlich viel herausfordernder, sich seinen eigenen Fehlern zu stellen. Das würde uns zur Korrektur, zum Umdenken zwingen.
Was wir beim anderen mit dem Vergrößerungsglas anschauen, das schauen wir bei uns selbst oft in Verkleinerung an. Die Fehler des anderen dramatisch darzustellen, die eigenen dagegen als Lappalie, nicht erwähnenswert, abzutun, das findet sich immer wieder. Und Medien mit ihrer Tendenz zur Dramatisierung unterstützen uns dabei. Wir können in der Anprangerung der Fehler da draußen von den eigenen Fehlern ablenken.
Dazu kommt: Wenn ich nicht mehr direkt mit anderen ins Gespräch komme, sondern die anderen nur mehr unter dem Zerrspiegel der medialen Berichterstattung sehe, erscheint der Fehler des anderen noch größer. Wir merken das etwa am heute viel beschworenen Generationenkonflikt. Früher, wo wir uns in den Familien zwischen Großeltern, Eltern und Kindern abstimmen mussten, kam es auch zu Konflikten. Diese mussten aber im gemeinsamen Gespräch im Finden eines über die Generationen geteilten Sinns gelöst werden. Da lernte man den anderen kennen. Man wurde sich im Gespräch und in der Auseinandersetzung mit den anderen der eigenen Fehler bewusst, wenn man sich nicht dagegen sperrte.
Heute, wo wir oft nur über die sogenannten sozialen Kommunikationsmittel miteinander verkehren, fehlt oft das direkte Gespräch. Da wird der Splitter im Auge des anderen größer, der Balken im eigenen oft übersehen. „Gott sei Dank habe ich nichts gesagt!“