„In einem Winkel meines rauchgeschwärzten Herzens glaube ich, dass ein anständiger Mensch die Lüge hasst, aber sehr niedergeschlagen zu sein pflegt, wenn er recht haben muss.“
Dieses Wort des 1989 verstorbenen tschechischen Dichters Jan Skácel ist Anlass zum Nachdenken. Es weist nämlich auf den Verdacht des Dichters hin, dass die Menschen eigentlich gar nicht so sehr die Wahrheit lieben, vielmehr wollen sie beweisen, dass sie im Recht sind. Das führt sie dann dazu, die Wahrheit zu verbiegen, um Recht zu behalten. Gerade heute zeigt sich, dass dies mehr als ein Verdacht des Dichters ist, sondern Alltag bedeutet, wenn wir etwa die Begründungen russischer Politiker für den Einmarsch in die Ukraine hören. Eines der ersten Opfer in jedem Krieg ist ja die Wahrheit, ein Opfer, dem dann menschliche Opfer in großer Zahl folgen.
Der zynische Umgang mit der Wahrheit, dem es nur daran liegt, sich zu rechtfertigen, Recht zu behalten, indem man von der Wirklichkeit weglenkt, ist heute auf vielen Gebieten zu sehen. Die Lüge ist oft zu verlockend. War nicht auch Jesus diesen Verlockungen ausgesetzt? Im Evangelium vom ersten Fastensonntag versucht der Böse Jesus seine Vorstellung von dem, was ein Messias sein soll, aufzuzwingen.
Er will Jesus wegführen von seiner Sendung, weg von der Wahrheit hin zur damaligen Meinung in Bezug auf den Messias. Die Angebote des Verführers sind verlockend: Abdeckung der materiellen Bedürfnisse in Fülle, Erfolg und Macht. Dabei drängt der Satan, der „Vater der Lüge“, Jesus nicht direkt zum Bösen, sondern das, was Macht bedeutet, wird vom Satan als das, was den Messias ausmacht, dargestellt. Das soll die wahre Wirklichkeit, der Beweis dafür sein, dass Jesus im Recht ist.
Jesus verfällt dieser Versuchung nicht, er ist nicht der gekommen ist, um Gewalt auszuüben, er ist nicht der, der irdische Wirklichkeiten als die letzten und gültigen sieht. Er sucht nicht den Beweis der Macht in Unterdrückung der Menschen oder in der Befriedigung ihrer vordergründigen Bedürfnisse, sondern er sucht die Wahrheit im Leben in Fülle für alle. Die Wahrheit ist nicht zu verwechseln mit dem Bedürfnis, Recht zu haben und zu behalten. Vielmehr ist sie Blick über uns hinaus auf den, der der Bezugspunkt unseres Lebens ist. Jesus konnte der Verengung auf diesen falschen Gedanken nach langem Fasten widerstehen, vielleicht kann auch uns Fasten zum Finden dieses Bezugspunkts, zur Wahrheit führen, die uns freimacht und von der Lüge befreit, die uns und andere in den Tod führt.
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