Zwei Wissenschaftler kommen aus einem Lokal, vor ihnen auf der Straße liegt ein Mann, blutüberströmt, stark verwundet durch brutale Schläge. Sagt der eine zum anderen: „Wie schlimm muss unsere Gesellschaft sein, dass sie Menschen dazu bringt, andere so brutal zusammenzuschlagen. Wir müssen uns sofort um den Täter kümmern!“ Sie gehen weg und lassen den Verletzten hilflos liegen.
Nicht falsch verstehen: Kümmern wir uns nicht oft mehr um die Täter als um die Opfer. Dies ist auch wichtig, auch der Täter ist Mensch, und jemanden verstehen zu wollen, heißt nicht schon, die Tat gutzuheißen. Und es sind ja wirklich oft Verwerfungen unserer Gesellschaft, die zu Unmenschlichkeit führen und die geändert werden müssen. Vor allem aber lassen sie oft keine Umkehr zu.
Ist nicht auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn ein solches Mitleiden mit dem Täter? Schon die Benennung als verlorener Sohn zeigt dies. Dabei ist er ja gar nicht verloren gegangen, sondern er hat sich entschieden wegzugehen. Er hat sich vor seinem Weggehen sein Erbe auszahlen lassen. Bewusst hat er einen anderen Lebensstil gewählt, sein Scheitern muss er sich selbst zuschreiben. Sollte man dieses Gleichnis also nicht besser mit „Der barmherzige Vater“ übertiteln, wie es ja auch manchmal getan wird? Der Vater ist schließlich die Hauptfigur: Er lässt den Weggang nicht nur zu, sondern unterstützt ihn scheinbar durch die Auszahlung des Erbes, er wartet auf die Rückkehr seines Sohnes, ohne ihn dazu zwingen zu wollen, er lässt ein Fest feiern mit all dem, was zum Fest dazugehört, mit Essen, Trinken und Festtagsgaben.
Oder was ist mit dem zweiten Sohn: Er ist brav zuhause geblieben, hat gearbeitet, und jetzt kommt der Hallodri, um den macht der Vater großes Aufsehen, und er ist in den Hintergrund versetzt. Da ist es doch verständlich, dass er sich aufregt!
Was den verlorenen Sohn auszeichnet, und deswegen ist der Titel auch berechtigt, ist seine Bereitschaft zur Umkehr. Die Einsicht, falsch gehandelt zu haben, zu dieser kommen heute sehr viele nicht. Denn es fällt schwer zuzugeben, einen falschen Weg gewählt zu haben. Und dazu kommt das Vertrauen, dass der Vater ihn verstehen wird. Mehr als das: Der Vater kommt dem, der zurückkehrt entgegen. Dass der daheimgebliebene Sohn das nicht versteht, zeigt seine Unreife, wie das Weggehen Unreife war. Der wartende Vater will einfach, dass das Leben der beiden gelingt, mit welcher Vorgeschichte auch immer. Sollten wir mit der Kirche den Menschen nicht diesen Vater vermitteln?
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