Der Mai ist traditioneller Weise der Marienmonat. Das Erwachen der Natur, das Grün in den verschiedensten Schattierungen, die Farbenpracht der Blumen, die blühenden Bäume: Alles verweist auf das Leben, das sich Bahn bricht nach der Starre des Winters. Es ist die unscheinbare Kraft, die zärtliche, aber nicht zu unterdrückende Macht des Kleinen, die gerade als Verweis auf Maria gesehen wird.
Denn das Kleine hat Sprengkraft, wie wir am Magnificat Mariens sehen. Es erhält seine befreiende Kraft durch Gott: Gewaltige, Mächtige stürzt er vom Thron, Niedrige aber erhöht er, heißt es in diesem wunderbaren Lied Mariens beim Besuch bei Elisabeth. Das Kleine erhält seine Bedeutung und seine Kraft, die verändert, wenn es auf Gott bezogen ist. „Siehe, ich bin eine Magd, eine Sklavin des Herrn“, sagt Maria, und wir beten dies im Engel des Herrn. Dies bedeutet, dass sie von keiner irdischen Kraft mehr versklavt werden kann, weil sie in Bezug auf Gott lebt. All die Beziehungen, in denen sie steht, sind der Beziehung zu Gott untergeordnet. Damit kommt Maria auch etwas Revolutionäres zu. Sie stellt ihr Leben unter neue Vorzeichen, nämlich die Gottes, und kann all das andere deswegen in einen größeren Zusammenhang einordnen. Alles andere wird dadurch zweitrangig.
Dies gilt auch, wenn sie sich dem Leiden stellen muss. Die Darstellung der sieben Schmerzen zeugt ja vom Leidenszusammenhang, in den Maria gestellt ist. Ivan Krastev vom Zentrum für Liberale Strategien in Sofia, der in Wien lebt, sagt, dass der, der leiden kann, Macht besitzt. Wer sich in seinen Ansprüchen zurücknehmen kann, der kann einen angstfreien Zugang zum Leben gewinnen, wer verzichten kann, dem ist es möglich, auch Situationen der Entbehrung zu durchleben. Wer sich wie Maria Gott unterordnet, der braucht nicht Angst zu haben vor Machthabern, die ihn unterdrücken wollen. Denn die Leidensfähigkeit bedeutet Macht, weil sie Macht bricht.
Der griechische Philosoph Diogenes, für seinen einfachen und kargen Lebensstil bekannt, aß zum Abendessen Linsen. Das sah der Philosoph Aristippos, der ein angenehmes Leben führte und sich dieses leisten konnte, weil er dem König schmeichelte und bei diesem hoch im Kurs stand. Aristippos hielt Diogenes vor: „Wenn du lerntest, dem König gegenüber unterwürfig zu sein, müsstest du nicht von einem solchen Abfall wie Linsen leben!“ Darauf Diogenes: „Wenn du gelernt hättest, mit Linsen auszukommen, bräuchtest du nicht dem König zu schmeicheln und dich von ihm abhängig zu machen!“
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