Wir kennen dies Szene vielleicht aus dem Zirkus: Ein Artist turnt auf einer Stange, die von zwei kräftigen Personen gehalten wird. Stellen wir uns nun vor, die Stange würde nur auf der einen Seite gehalten, das andere Ende rage ins Leere. Auf einer solchen Stange Kunststücke auszuführen, wäre schwer: zu wackelig das Ganze und kein Halt.
Geht es uns nicht oft so, dass wir auf einer Stange, die nur auf einer Seite gehalten wird, zu turnen glauben? Wir vergessen es oft – und wir wollen es mitunter auch nicht –, dass das andere Ende der Stange gehalten wird. Wir können das selbst, glauben wir, und dabei verlieren wir die Balance. Ist aber nicht das andere Ende unseres Lebens gehalten von Gott? Durch ihn gewinnt die Stange, das menschliche Leben, Stabilität, Halt. Das Leben führt damit nicht ins Leere, nicht der Sturz ins Nichts ist das Ende, und der Mensch bleibt nicht auf sich zurückgeworfen.
Der heutige Mensch will in vielen Fällen nicht diese Rückbindung an Gott, vielmehr will er sich von Gott freimachen, aber gerade dadurch wird das Leben schwankend und unfrei. Oft will er darüber hinaus auch nicht, dass die eine Seite der Stange von anderen gehalten wird, er will sich selbst beweisen, dass er die anderen nicht braucht, wie er auch Gott nicht zu brauchen glaubt. Sich aber in die trügerische Anschauung zu begeben, man könnte die Stange, auf der man balanciert, selbst halten, das kann nur zum Absturz führen. Wie aber Beziehung finden zu Gott, der oft nicht als solcher, der dir die Stange hält, greifbar und begreifbar wird?
Ein anderes Bild, das uns der über 95-jährige Benediktiner-Mönch David Steindl-Rast, ein gebürtiger Wiener, der nach Amerika auswanderte, vorstellt, kann uns vielleicht dabei helfen. Das Land zeigt sich oft trocken und ausgebrannt, kein erfrischendes, Leben bringendes Wasser. Das erleben wir ja immer wieder in unseren heißen Tagen. Unter dem trockenen Land liegt aber ein Grundwassersee. Wie aber das Wasser zutage fördern? Wir brauchen ein Gerät zum Schöpfen dieses Wassers. Für Steindl-Rats bedeutet Beten das Schöpfen dieses Grundwassers, die Religionen Brunnen zu diesem Grundwasser, um von diesem schöpfen zu können.
„Und das vorgegebene Gebet ist wie ein kleiner Eimer, aus dem ein Kind schöpft und ausgießt, schöpft und ausgießt, eins ums andere Mal, Wasser aus dem Ozean des Gebets.“ Und das Gebet schafft die Beziehung zu Gott, der das andere Ende der Stange hält, es lässt uns erfahren, dass wir gehalten werden, und damit finden wir Halt.
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