Sind es gute Tischmanieren, die Jesus im Evangelium vom Sonntag einfordert: Sich nicht auf die ersten Plätze zu setzen, sondern sich bescheiden im Hintergrund zu halten? Und hat sich daraus nicht besonders im katholischen Raum eine strategische Bescheidenheit, wie ich sie nennen möchte, entwickelt?
Wenn ich bei einem Vortrag eine leere erste Reihe sehe, dann gehe ich davon aus, dass es eine katholische Veranstaltung ist. Damit ist aber nicht das verwirklicht, was Jesus erreichen wollte. Vielmehr geht es so manchem, der sich in die letzte Reihe setzt, darum, vor in die erste Reihe gerufen zu werden. Damit hat er dann das erreicht, was er nicht geschafft hätte, wenn er sofort seinen Platz in der ersten Reihe eingenommen hätte. Nun steht er im Mittelpunkt und wird noch dazu in seiner Bescheidenheit hochgeschätzt.
Jesus aber fordert nicht diese berechnende Bescheidenheit, sondern Demut, Mut zum Dienen. Diese Demut strebt nicht nach Öffentlichkeit seiner selbst, sondern orientiert sich am Wohlergehen des anderen, daran, dass wir in Bescheidenheit dem anderen den Vorrang lassen. Es kommt also nicht auf den Sitzplatz an, sondern auf die Haltung, die hinter der Wahl des Sitzplatzes steht.
Ein zweiter damit zusammenhängender Punkt wird im Evangelium angesprochen. Und er ist ebenso relativ verbreitet. Man lädt einen anderen ein, um von diesem eine Gegeneinladung zu erhalten. Und es wäre schon gut, wenn die Einladung durch den anderen noch das überbietet, was ich dem anderen geboten habe. Dieses Handeln auf Gegenseitigkeit ist nicht von vorherein schlecht, es wird nur bedenklich, wenn es zur besagten Aufrechnung kommt.
Ich habe einen guten Bekannten, der wütend wird, wenn man ihm einen Gefallen, den er einem angedeihen lässt, mit einer Gegengabe abgelten will. „Kann man nicht etwas geben, ohne eine Gegengabe zu erwarten?“ So seine Rüge. Natürlich ist es dann schlimm, wenn einer die Gastfreundschaft oder die Gutmütigkeit eines anderen ausnutzt. Problematisch ist es aber auch, wenn ich nur aus Berechnung handle. Gastfreundschaft wird dann zu einer Untugend, die dazu führt, dass wir jene bewirten und beherbergen, die das nicht brauchen.
Der große christliche Denker Romano Guardini hat dagegen über richtige Gastfreundschaft gesagt: „Dies ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn, dass ein Mensch dem andern Rast gibt auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause.“ Ohne eine Gegeneinladung zu erwarten, auch wenn es gut ist, wenn eine solche kommt.
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