Herr Bischof, Sie erholen sich gerade von einer schmerzhaften Gelenkserkrankung. Wie gehen Sie damit um? Haben Sie daraus etwas gelernt?
Diese Erkrankung ist für mich eine „Bremse im Hamsterrad“, eine wirkliche Fastenzeit und Wüstenzeit. Die Ärzte haben viel Gutes getan, die Therapien und Infusionen haben gewirkt. Meine Geduld wurde auch auf die Probe gestellt, arbeitsunfähig war ich nicht, mir ist nie langweilig geworden, ich konnte vieles aufarbeiten, vorausplanen und musste Entscheidungen treffen. Ich habe durch diese Krankheit mehr Verständnis für Kranke und in der Pflege Tätige gelernt.
Sie blicken auf eine an Erfahrung reiche Lebensspanne zurück. Erinnern Sie sich an Erlebnisse, welche Sie am stärksten geprägt haben?
Ich bin arm und bescheiden aufgewachsen. Das Gymnasium in Mattersburg, das Theologiestudium in Wien, die Priesterweihe, Studium in Rom, Pfarrseelsorge, Leitung der Kroatischen Sektion und Verantwortlicher für die kroatische Kirchenzeitung Glasnik, Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Bischofsweihe, Delegierter bei der Weltbischofssynode zur Neuevangelisierung, Europabischof in der COMECE, Kontakte mit den Nachbardiözesen und der indischen Partnerdiözese Kanjirappally, die ich mehrmals besuchen konnte, die Zusammenarbeit in der Ökumene und das Projekt des ersten orthodoxen Klosters in St. Andrä am Zicksee – das alles und mehr waren die schönen Momente in meinem Leben.
Weniger schön war der politische Druck für die Errichtung eines Grenzzaunes auf Kirchengrund in der Flüchtlingskrise 2015, schmerzhaft sind die steigenden Kirchenaustritte, der Verlust der Kirchenbindung, der Mangel an Priester und Ordensberufen und damit einhergehend der Gläubigenmangel. Auch das Abschiednehmen von Menschen, ihr Sterben hat mich nachhaltig geprägt.
Sind Sie stolz, ein Burgenländer zu sein?
Ich bin ein überzeugter Burgenländer! Ein Pannonier kennt den Eisernen Vorhang, die Randlage, die Armut von gestern, heute ist unser kleines Bundesland eine Brücke zwischen Ost und West. Europa atmet mit den beiden Lungenflügeln, wie es Papst Johannes Paul II. bei seinem Pilgerbesuch im Burgenland gesagt hat.
Was macht einen Burgenländer aus?
Einfachheit und Offenheit, Bodenständigkeit, vielfältiges Engagement, Zeit zum Reden, das Essen, auch die Gastfreundschaft, die Liebe zur Heimat, die Mehrsprachigkeit und das Verwurzelt-Sein im Glauben und in der Tradition.
Was beschäftigt Sie derzeit am meisten, was macht Sie nachdenklich?
Wohin steuern wir: Die Kirche, die Gesellschaft, die Wirtschaft, das Klima, der Glaube, der Mensch, vor allem die jungen Menschen? Mit der Beliebigkeit, mit der Gleichgültigkeit und mit dem Relativismus kann ich mich nicht abfinden. Das Leben ist mehr.
Kommen Sie zum Lesen? Welche Bücher lesen Sie derzeit?
Derzeit lese ich drei Bücher: „Der Nachmittag des Christentums“ des tschechischen Priesters und Wissenschaftlers Thomas Halik. Das Buch „Geld“ von Marlene Engelhorn, wo es um Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit geht. Und „Alles, was wir nicht erinnern“ von Christiane Hoffmann, der Tochter zweier Flüchtlingskinder, Auslandskorrespondentin und Redakteurin großer Zeitungen.
Dazu kommen theologische Fachliteratur und viele Artikel. Nicht zu vergessen sind die Tageszeitungen, ganz nach dem Motto: Bibel und Zeitung gehören gemeinsam zum täglichen Lesestoff.
Was tun Sie am liebsten? Wie nützen Sie Ihre Freizeit? Gehört Musik auch dazu?
Beten und lesen sind mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Besuche sind für mich ganz wichtig. Gerne besuche ich meine Mutter, meine Schwester und ihre Familie, die Verwandten, die alten und kranken Menschen, besonders die alten Priester. Mit meinem Großneffen mache ich die Hausübung, mit dem Kleinen pflege ich auch den „Männerabend“: spielen, fernsehen und naschen. Ich kaufe gerne ein und nehme mir vor, den Hometrainer nicht zu vergessen. Musik und singen sind mir wichtig, man sagt den Kroaten nach, dass sie die Musik in den Genen haben.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen für Sie?
Die Spaltungen in der Gesellschaft, die zunehmende Radikalisierung, die befremdenden und verletzenden Verschwörungstheorien, die Verdächtigungen, der fehlende Zusammenhalt in Kirche und Gesellschaft, die Teuerungen und die damit verbundene Verarmung vieler. Der Umgang mit der Schöpfung und die Angst vieler Menschen vor der Zukunft. Eine Frage stelle ich oft: Was fehlt, wenn Gott fehlt?
Krisen sind keine Chancen, sie sind schmerzlich und stellen Vieles in Frage.
Bischöfe dürfen mit 60 noch nicht an die Pension denken. Wie wollen Sie die Zukunft mitgestalten?
Als Hirte möchte ich auch in Zukunft dazu beitragen, unsere Diözese geistlich, wirtschaftlich und personell so aufzustellen, dass sie die Grunddimensionen der Kirche besser verwirklichen kann, diese sind: Verkündigung, Liturgie, Caritas und Koinonie – Gemeinschaft. Wir müssen alles tun, um diesen Auftrag der nächsten Generation weiterzugeben und haben als Kirche die Pflicht, unsere Gesellschaft mitzutragen und mitzugestalten.
Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?
Die Gesundheit des „Leibes und der Seele“ – aber nicht nur für mich!
Zusammenhalt, Einheit und Frieden im Land, in der Diözese, in dieser heimgesuchten Welt, Frieden in der Ukraine und Frieden in den Herzen der Menschen. Ich wünsche mir und unserer Kirche geistliche Berufungen, Priester und Ordenschristen.
Mit persönlichen Geschenken macht man mir keine Freude, ich habe mehr als ich brauchen kann. Was zählt, das sind Martinstaten für die Menschen, die bei uns im Burgenland von Armut betroffen sind und für die Familien, die in unserer indischen Partnerdiözese Kanjirappally bei der letzten Flutkatastrophe ihre Häuser verloren haben.
Interview: Franz Josef Rupprecht
Martins-Taten
Bischof Ägidius kann man mit persönlichen Geschenken nicht wirklich Freude machen. Doch er leitet die Spenden seiner Gratulanten gerne weiter an Menschen in Not, in unserer Heimat und in unserer indischen Partnerdiözese.
Konto:
Diözese Eisenstadt Hilfe für Notleidende Burgenländer
IBAN AT115100081015303500
Dankgottesdienst zum 60. Geburtstag in der Domkirche Eisenstadt
Der „Glasnik“ lädt die Gläubigen zum Dankgottesdienst am Samstag, den 15. April, in die Domkirche in Eisenstadt ein, welche um 10.00 Uhr von Bischof Dr. Ägidius Zsifkovics gefeiert wird. Musikalisch umrahmt wird der Gottesdienst von der „Bauernkapelle St. Georgen", welche ebenfalls ihr 60-jähriges Bestehen feiert, und dem Chor "Pax et Bonum".
Fotos: Diözese Eisenstadt, Viktor Fertsak